24.07.16 Essen-Hamburger Straße. Neugierig kommen die Kinder zum Eingangs-Container. Meine zwei ehrenamtlichen Assistentinnen und ich erklären der Security, dass hier in einer Stunde Clowntheater stattfinden soll – irgendwo im Camp. Aha, vermutlich in Zelt 6! – Ein Junge saust mit seinem Fahrrad los. „Gleich wissen alle Kinder Bescheid!“, sagt die Security-Mitarbeiterin, „sowas geht hier ganz schnell!“. Wunderbar, wir brauchen uns nicht zu sorgen, ob die angekündigten ca. 20 Kinder wirklich kommen…

Beim ersten der insgesamt acht Auftritte dieser Tournee, die von Interkultur Ruhr gefördert wird, empfängt uns die Kooperationspartnerin Frau Hemeda als Verantwortliche des EHC persönlich und bringt uns direkt zu den Sozialbetreuern

in Zelt 6. Auch wenn es manchmal etwas improvisiert erscheint, dürfe ich sicher sein, dass die Auftritte immer klappen werden, meint sie. Und tatsächlich, in kürzester Zeit sind Bühne und Zuschauer-Raum nach meinen Wünschen errichtet und ich bekomme sogar einen „Umkleide-Raum“: einen abgetrennten Bereich mit Spielgeräten, Mobiliar und gemalten Bildern an den Wändern – überwiegend mit großen Booten auf dem Meer. Ich lege den letzten Schliff an die Maske und bin bereit.
Mittlerweile sind 50-60 Kinder einzelnd hereingelassen worden, einige Mütter verlassen das Zelt wieder, da sie ihr Kind sicher aufgehoben wissen. Andere disziplinieren ihre Kinder mit scharfem Ton. Die Kleinsten sitzen vorne auf extra kleinen Stühlen. Die Spannung steigt. Meine Assistentin Nicole Thomas betritt mit Zylinderhut die Bühne und spricht die Begrüßung – mit Übersetzung durch einen Sozialbetreuer.
LOTTE wird lauthals gerufen und tappt mit großem Sonnenhut, Koffer und Rucksack herein, müde von der langen Reise hierher… Große Augen, Staunen, Kichern auf beiden Seiten. Lotte stellt ihren Koffer ab, die Handpuppe Hertha schaut hinten aus dem geöffneten Rucksack – wieder kichern… – so nimmt das Clowntheater seinen lustigen Lauf…
Kinder und einige Eltern aus überwiegend Syrien und Irak , aber auch Afghanistan, Gambia, Aserbaidschan u.a. werden in den Bann gezogen von Saxophon, Zirkusspiel, phantasiereicher Clownin mit Clown-Quatsch-Sprache und einigen deutschen Vokabeln, sowie Pantomime und viel Visual Comedy. Eine Ehrenamtliche ist mit ihrer Tochter dabei, sie sticht mit blondem Schopf heraus. LOTTEs Handpuppe singt zur Ukulele, Lotte zählt beim Hochziehen des Hochseils falsch – alles wird nachgesprochen, Fehler empört korrigiert oder bekichert. Wenn Lotte Angst hat wird sie angefeuert und der Raketenstart ins Weltall gelingt schließlich gemeinsam – mit erhobenen Armen, um dann im zarten von Stimmen imitierten säuselnden Fahrtwind im Weltall zu schweben. Nach gemeinsamem Gesang auf dem Mond geht’s zurück und der Zirkus ist aus. „Außer ihr ruft ZUGABE“, sagt der Übersetzer, der nur zu Beginn und am Ende zum Einsatz kam. Natürlich Zugabe! – LOTTEs Ankündigung der „Zaubernummer“ mit glitzerndem Zauberstab ruft ein großes Raunen hervor… (Bewegtes Glitzern im Plastikstab – scheinbar noch nie gesehen – hätte schon die Zaubernummer an sich sein können. Und stammt das Wörtchen „Simsalabim!“ nicht aus dem arabischen Raum?) Und weil es sooo schön war, nochmal: „Simsalabim!! – Oooooh – Aaaah!“.
Am Ausgang bekommt jedes Kind einen Smiley-Luftballon. Es quietscht auf dem Hof, die Wasserbombem platzen und die Seifenblasen werden sogar von Nachbarn aus dem Fenster gefilmt. Nicht nur die Kinder kreischen und lachen, wenn sie der Wasserstrahl aus der Spritzkamera trifft: Mütter am Rande des Platzes verfolgen lächelnd das bunte Hof-Treiben, bis die Clownin zu
ihnen kommt und um ein Gruppenbild bittet… Ein stummes Danke schwingt im Lächeln mit! Die Sozialbetreuer sorgen für Erfrischung aus dem Gartenschlauch und ich beendete als LOTTE mein Spiel. Bewegt – berührt – beseelt! Meine Helferin Agnes Schnieder wurde noch überascht: Ein Mädchen fragte sie: „War das eben nicht ‚Bruder Jacob’?“ und sang das komplette Lied stolz mit Originaltext auf deutsch vor.* Anders als vor 5 Monaten im Zeltdorf Karnap – die Kinder haben jetzt seit Mai Sprachunterricht!
* Hertha hatte in der Show einen eigenen Text gesungen
Inzwischen hatten die hilfsbereiten Sozialbetreuer die Bühne aufgeräumt, samt Konfetti. Wir drei gingen erschöpft und beglückt zum Auto – begleitet von dem kleinen Aziz aus Afghanistan auf seinem Fahrrad… – DANKE! Ein erster voller Erfolg!
Nachlese Nicole Thomas, ehrenamtliche Helferin: „Liebe Lotte, vielen Dank, dass ich den Auftritt mitbegleiten durfte! Es war bewegend mit an zu sehen

wie Du schon nach kürzester Zeit die Kinder mit Deinem Spiel begeistert hast. Sie haben mit Dir von 1 bis manchmal sogar 14 gezählt, Worte wie Treibstoff, Saxophon & Mond durch Dich kennengelernt, gesungen & geklatscht. Sogar bis auf den Mond sind sie mit Dir geflogen und haben die Schwerelosigkeit des Weltalls hörbar & sichtlich genossen.
Besonders bewegend aber ist für mich das von Herzen kommende Lachen der Kinder; zu sehen, wie sie an Deinen Lippen hängen und sogar aufstehen, wenn Du am Boden liegst, um besser zu sehen, was Du dort machst! In vielen Momenten Deines Auftrittes konnten sich die Kinder sichtlich ganz dem Spaß & Spiel hingeben – was sicherlich auch für die anwesenden großen Kinder, also Sozialbetreuer, Ehrenamtliche & Eltern, wahr ist. Das wurde spätestens bei den begeisterten „Zugabe“-Rufen deutlich; da waren sich alle der rund 70 anwesenden Menschen im Zelt absolut einig!
Sowieso schien Dein Auftritt unter einem guten Stern zu stehen: Vor Ort waren so viele engagierte helfende Hände zur Stelle, so dass Alles immer vorhanden war. – Die Erinnerung an Deinen Auftritt wird aber wohl noch lange bleiben – auch dann, wenn alle sichtbaren Spuren wie bspw. Plakate weggeräumt sind.
Ich wünsche noch ganz vielen Menschen die Chance, die Zirkus-Träume von Lotte kennenlernen zu dürfen um so viele transformatorische Momente wie möglich in den eigenen Alltag mit nehmen zu können.“